Dass sich Menschen auch im Jahr 2017 gegen Rassismus engagieren, ist leider noch immer keine zivilgesellschaftliche Selbstverständlichkeit geworden, sondern nach wie vor eine gesellschaftliche Notwendigkeit – nicht nur, aber vor allem in Sachsen. Aufgrund dieser Notwendigkeit beteiligt sich der Treibhaus e.V. auch dieses Jahr wieder an den Internationalen Wochen gegen Rassismus. Diese starten heute unter dem Motto „100% Menschenwürde – Zusammen gegen Rassismus“1.
Rassismus in der Gesellschaft
Eine unverzichtbare Quelle, um sich Rassismus in unserer Gesellschaft bewusst zu machen, ist das Monitoring der sächsischen Opferberatung (RAA). So ergibt sich laut deren Fachreferentin Andrea Hübler für das Jahr 2016 folgende Analyse: „Zwar ist rechtsmotivierte Gewalt in Sachsen erstmalig seit 2012 wieder leicht zurückgegangen, allerdings verbleiben die Angriffszahlen auf sehr hohem Niveau. Innerhalb von vier Jahren haben diese sich fast verdreifacht und seit zwei Jahren bewegen sich die Angriffszahlen auf dem höchsten Stand seit Bestehen der Opferberatungsstellen. Für viele Betroffene ist es Alltag, bedroht, beleidigt oder angegriffen zu werden. Wir befürchten, dass rechte Gewalt auch in absehbarer Zeit nicht deutlich zurückgehen wird, sondern eine bedrohliche Normalisierung eintritt“2.
Wenn die RAA Sachsen die Gesamtzahl begangener rechter und rassistisch motivierter Straftaten im Jahr 2016 auf 437 beziffert, bei denen mindestens 685 Personen betroffen waren, hört sich dieser geringe Rückgang zum Vorjahr vermutlich für viele Menschen zunächst einmal beruhigend an. Trotzdem verbirgt sich hinter der Zusammenfassung dieser Straftaten eine besorgniserregende Verschiebung gewalttätiger Angriffe. Angriffe, die einst ‘politischen Gegner_innen’ galten, treffen aktuell vermehrt Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. 73 Betroffene der von der RAA gezählten Angriffe waren jünger als 16 Jahre.
Neben dem zivilgesellschaftlichen Fokus einer Opferberatungsstelle eignet sich an dieser Stelle ein Perspektivwechsel hin zu einer wissenschaftlichen Betrachtung des gegenwärtigen Rassismus als Teil “gesellschaftlicher Normalität”. Eine solche wissenschaftlich geführten Untersuchung versteht sich als hilfreicher Erklärungsansatz, wenn die umfangreichen Bedingungen einer realen gesellschaftlichen Veränderungen gemessen werden sollen. Eine entsprechende Studie unternahmen Wissenschaftler_innen der Universität Leipzig zur „Die enthemmte Mitte – Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland“3 vom Juni 2016 und konnten deutlich machen, wie sehr sich die Akzeptanz zu den Ideologien der Ungleichwertigkeit als Einstellungsmuster bis weit in die Mitte der Gesellschaft verstetigt. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte die sächsische Opferberatung (RAA), wenn sie von einer “bedrohliche[n] Normalisierung”4 sprechen.
Indes konstatierte die Leipziger Forschungsgruppe um Oliver Decker eine zunehmende Akzeptanz von Gewalt innerhalb der Bevölkerung. Eine bedenkliche Veränderung, wenn an anderer Stelle als Forschungsergebnis feststellbar ist, dass sich 22.7% der Befragten mit den Standpunkten von Pegida identifizieren können. Sofern in der Analyse von einer verbreitenden Zustimmung zu den Ideologien der Ungleichwertigkeit gesprochen wird, dann beschreiben die Wissenschaftler_innen die Zunahme von abwertendem Verhalten gegenüber Muslimen, Sinti und Roma und Asylsuchenden. Als weiterer und letzt genannter Fakt lässt sich eine Polarisierung der gesellschaftlichen “Mitte” entnehmen. Dies ist zum einen mit Besorgnis zu betrachten, da sich der Bevölkerungsteil mit rechtsextremen und autoritären Einstellungen weiter radikalisiert. Zudem sind antipluralistische und völkische Gruppierungen sichtbarer geworden. Dem steht zum anderen erfreulich gegenüber, dass sich innerhalb dieser “Mitte” auch eine Zunahme von demokratischen Einstellungen nachweisen lässt.
“Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus”
Gegenüber der Leipziger Studie, welche seit 2002 im Zweijahresrhythmus erhoben wird, sind 2016 erstmalig überhaupt für Sachsen die Einstellungen der Bevölkerung zu Demokratie und Gesellschaft abgefragt worden. Dies wurde im November im Rahmen des „Sachsen Monitor[s]5“ veröffentlicht. Auch diese Forschungsergebnisse vermitteln ein beunruhigendes Bild über Sachsen. So wird dem Freistaat attestiert, er habe sowohl ein Problem mit dem Ungleichwertigkeitsdenken in Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als auch mit deren besonderer Spielart des Rechtsextremismus. Demzufolge teilen 44% der Befragten eine hohe und mittlere gruppenbezogene menschenfeindliche Einstellung. 14% aus der Gesamtstichprobe weisen sogar einen hohen Grad einer solchen Einstellung auf. Auf die Frage, ob die Deutschen „anderen Völkern von Natur aus überlegen“ wären, teilen 18 % der Befragten diese Ansicht. Mehr als die Hälfte aller Befragten finden, dass die Bundesrepublik durch die vielen “Ausländer” in einem gefährlichen Maß überfremdet sei. Abschließend genannt wird im Bericht des Sachsen Monitors die bedenklich hohe Ablehnung von Muslimen in der sächsischen Bevölkerung.
Als dritte und weitere Perspektive in diesem Statement wird auf die Wahrnehmung von Rassismus innerhalb unserer Gesellschaft aus Sicht der institutionellen und politischen Repräsentation Sachsens Bezug genommen. Da dies nur allzu verkürzt möglich ist, wird dafür ein – wenn nicht gar das – prominentes(te) Beispiel 2016 bemüht. So war es der sächsische Ministerpräsident Tillich selbst, der erstmals in der bisherigen 27-jährigen sächsischen Regierungsarbeit das Problem Rassismus beim Namen nannte. Dies geschah, als er nach einer Sondersitzung des Sächsischen Landtages am 29. Februar 2016 öffentlich bekannt gab: „Ja, es stimmt. Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus und es ist größer, als viele – ich sage ehrlich: auch ich – wahrhaben wollten“6. Auch wenn ein solches Eingeständnis in Folge zuvor stattgefundener Ausschreitungen von Neonazis und Pegidaanhänger_innen in Clausnitz und Bautzen die traurige sächsische Realität zum Anlass hat, so markiert es doch ein beginnendes Umdenken innerhalb der Landesregierung, welches von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen seit Jahren gefordert wird.
Zusammen gegen Rassismus
Fügt man die Wahrnehmung von Rassismus in der Gesellschaft anhand der zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politik-institutionellen Perspektiven zusammen, so zeigt sich, dass Alltagsrassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit alle Ebenen betrifft. Gerade deswegen muss Rassismus auch durch eine Zusammenarbeit dieser Ebenen begegnet werden. Es bedarf daher einer gemeinsamen und selbst auferlegten Verpflichtung, es nicht nur bei der Wahrnehmung dieses Problems zu belassen, sondern dieser Notwendigkeit mittels verantwortungsvollem Handeln gerecht zu werden. Diese Erwartungen erheben wir nicht nur an uns selbst, als Teil der Zivilgesellschaft, sondern wir fordern dies ebenfalls von den Verantwortungsträger_innen sächsischer Politik und Öffentlichkeit. Insofern gilt es gerade den Menschen zu danken, welche sich mit ihrem empathischen und unermüdlichen Handeln – trotz aller Widrigkeiten – engagieren, um eine bessere Welt zu ermöglichen.
Im Namen des Treibhaus e.V. Döbeln ist es uns wichtig, dieses Engagement zu unterstützen und gleichzeitig allen Menschen, die unter den gesellschaftlichen Verhältnissen leiden, unsere Solidarität auszudrücken. Dies tun wir, indem wir uns auch in diesem Jahr im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus mit Veranstaltungen beteiligen – und indem wir euch zur Teilnahme an den angebotenen Veranstaltungen einladen und zur gesellschaftlichen Beteiligung ermutigen wollen.
In diesem Rahmen haben wir folgendes Programm für euch:
Freitag, 17. März 2017, 17.00 Uhr,
Café Courage (Bahnhofstraße 56, 04720 Döbeln)
Workshop „Gekreuzt?! Über die Verwobenheit von Sexismus und Rassismus“
https://www.facebook.com/events/1841243562814524/
Dienstag, 14. März 2017 und 21. März 2017), 14.00 bis 17.00 Uhr,
Treibhaus e.V. Hinterhof (Bahnhofstraße 56, 04720 Döbeln)
Offene Fahrradwerkstatt
Mittwoch, 15. März 2017 und 22. März 2017, 18.00 bis 21.00 Uhr,
Café Courage (Bahnhofstraße 56, 04720 Döbeln)
Nähcafe
Mittwoch, 22. März 2017, 13.30. bis 15.00 Uhr,
Eckert Schulen Döbeln (Rößchengrundstraße 2, 04720 Döbeln)
Informationsveranstaltung:
– Vorstellung des Projektes „PuB“ (Patenschaften und Beratung)
– Informationsmöglichkeit für Unternehmen
– Deutschkurse
Mit solidarischen Grüßen,
euer FAIR-Team
im Namen des Treibhaus e.V. Döbeln
Quellen:
1 Internationalen Wochen gegen Rassismus, siehe: http://internationale-wochen-gegen-rassismus.de/
2 RAA Sachsen, siehe: https://raa-sachsen.de/index.php/pressemitteilung/pressemitteilung-der-opferberatung-fuer-betroffene-rechtsmotivierter-und-rassistischer-gewalt-des-raa-sachsen-ev-3645.html
3 Decker O.; Kiess J.; Brähler E.(Hg.), 2016: Die Enthemmte Mitte, siehe:.http://www.zv.uni-leipzig.de/pressedaten/dokumente/dok_20160615154026_34260c0426.pdf
4 RAA Sachsen, siehe: https://raa-sachsen.de/index.php/pressemitteilung/pressemitteilung-der-opferberatung-fuer-betroffene-rechtsmotivierter-und-rassistischer-gewalt-des-raa-sachsen-ev-3645.html
5 Sachsen Monitor, siehe: https://www.slpb.de/fileadmin/media/Angebote_und_Aktionen/2016/Sachsen-Monitor_2016/Ergebnisbericht_Sachsen-Monitor_2016.pdf
6 Tillich im SPIEGEL, siehe: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sachsen-stanislaw-tillich-raeumt-versagen-im-kampf-gegen-rechtsradikale-ein-a-1079913.html